Das Repertoire für Zither

Für die Musizierpraxis erscheint eine entwicklungsgeschichtliche Betrachtungsweise der kunstgemäßen Spielliteratur für das Instrument Zither besonders geeignet. Aus der Entwicklung dieser Kunstrichtung heraus lassen sich nach einer mehr historischen Überlegung vier verschiedene Literaturtypen ableiten:

 

1. Die Literatur der Altmeister

 

Ihr Entstehungszeitraum erstreckte sich geschichtlich etwa von 1850 bis 1910. An der Spitze dieser Bewegung stehen Haustein und Pugh. Es wurde der Versuch unternommen, die damals bekannten technischen Mittel der Zither im Sinne der Kunstausübung zu gebrauchen. Was entstand, war der von uns so bezeichnete "Virtuosenstil alter Schule", der sich zumeist in einem einfachen fast ausschließlich homophonen Satz präsentierte. Es waren aber auch schon Bemühungen um eine höhere Ausdruckskultur zu erkennen.

Beispiele hierzu aus dem Repertoire vom Bochumer Zitherorchester:

  • Josef Haustein (1848-1926) - Quintett C-Dur
  • Johannes Pugh (1851-1939) - Nordische Romanze

 

2. Die "klassische" Zitherliteratur

 

Klassisch ist hier nicht stilistisch, sondern in einem allgemeinen Sinn zu verstehen (etwa gleich mustergültig). An der Spitze dieser Entwicklung, die nach 1910 mit zunehmender Intensität einsetzte, stehen Komponisten wie Grünwald, Reigersberg, Holz. Die Tendenz geht dahin, die Ausdrucksformen der Klassik und Romantik und der späteren Entwicklung für die Zitherkunst einzuholen und mit einer vollendeten technischen Wiedergabe durch das Instrument zu verbinden. Hier ist der Schwerpunkt einer "arteigenen" Zitherkunst zu erkennen. Die Schreibweise tendiert nach einer polyphonen Gestalt.

Beispiele hierzu aus dem Repertoire vom Bochumer Zitherorchester:

  • Ferdinand Kollmaneck (1871-1941) - Konzert mignon B-Dur
  • Hans Ludwig (1885-1969) - Ungarische Weisen
  • Emil Holz (1898-1967) - Serenade C-Dur

 

3. Die "neuzeitliche" Literatur

 

Mit den Gattungen 1. und 2. hat sie gemeinsam, daß auch sie Eigenliteratur der Zither darstellt, also Originalwerke. Ihre Gestalter sind indes zumeist keine Künstler der Zither, sondern fast ausschließlich durchgebildete Komponisten anderer musikalischer Fachgebiete: Rüdinger, Beckerath, Kaufmann, Naumann, Meister, Laska, Neal, Stichtenoth, Zehelein, Hlouschek, Hoch, Fackler, Sauter, Schwenk u.a. Sie schufen bedeutende Beiträge zur modernen Zitherliteratur. Die besondere Bedeutung dieser Literatur besteht von einer stilgeschichtlichen Beurteilung her darin, dass sie - zumindest teilweise - als ein "Brückenschlag" der Zitherliteratur zur modernen Musikentwicklung betrachtet werden kann.

Beispiele hierzu:

  • Hans Boll (1923-2016) - Toccata, Passacaglia und Fuge
  • Fritz Pilsl (1933) - Kleine Konzertmusik für Zitherorchester
  • Helmut Fackler (1940) - Excetra
  • Gernot Sauter (1947) - Cetrestra
  • Raimo Kangro (1949-2001) - Movements
  • Fredrik Schwenk (1960) - Im Fluss
  • Raphael Thöne (1980) - 4 daydreams, Eskapaden für Zitherorchester

 

4. Die "adaptierte" Literatur

 

Es handelt sich hierbei um die Übertragung fremder Literatur auf die Zither. Instrumentale Beispiele existieren in Bearbeitungen von Literatur der Laute, der Geige, des Cembalos und des Klaviers. Neuerdings werden auch Versuche mit Literatur nicht mehr existenter alter Saiteninstrumente, wie Vihuela, Cithrinchen, Psalterium usw. unternommen. Außerdem sind, was das Ensemblespiel anbetrifft, eine Reihe von Varianten vorstellbar. Sehr attraktiv gestaltet sich beispielsweise auch die Verwendung der Zither als Generalbaß-Instrument. Gute Arrangements können also sehr wohl eine Bereicherung der Spielliteratur für die Zither hinzubringen.

Beispiele hierzu aus dem Repertoire vom Bochumer Zitherorchester:

  • Giovanni Gabrieli (1555-1612) / Bearb: Fred Witt - Canzona für 8 Stimmen
  • Georg Philipp Telemann (1681-1767) / Bearb: Frédéric Jenniges - Konzert G-Dur für 2 Melodieinstrumente und Basso Continuo
  • Johann Michael Haydn (1737-1806) / Bearb: Gernot Sauter - Sinfonia Es-Dur
  • Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) / Bearb: Gernot Sauter - Aus der Ballettmusik "Les petit riens"
  • Edvard Grieg (1843-1907) / Bearb: Gernot Sauter - Lyrische Stücke II, op. 38

Diese entwicklungsgeschichtliche, pragmatische Einteilungsweise gibt ein brauchbares Fundament ab für die Erarbeitung gediegener Konzertprogramme in der Zithermusik. Die Gesamtkapazität kennzeichnet die gegenwärtige Situation als retrospektiv und im Sinne neuzeitlicher Kunstrichtungen ergänzungsbedürftigt. Sie wird sich logischerweise zugunsten des Anteils der 3. und 4. Gattung fortgesetzt verändern und erweitern müssen. Es darf aber heute schon betont werden, dass die sogenannten "Klassiker" der Zither - ähnlich wie bei der Konzertgitarre - unter Einbeziehung einer notwendigen Selektion ihren Stellenwert beibehalten werden.

 

Literatur

[1] Brandlmeier, Josef: Handbuch der Zither II - Systematik der Zitherkunst, Musikverlag Richard Grünwald München, 1979.